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Call me! Der Geltscher am Telefon. Falter, Wien 2024
Kurz nach Veröffentlichung des Falter Newsletters zum Calling the Glacier-Projekt
brach
aufgrund der zahlreichen Anrufe einen Vormittag lang die Telefonleitung zusammen.
Es rauscht, quietscht ein bisschen, wummert, rauscht weiter. Nach einer Minute 30 Sekunden wird die Verbindung unterbrochen. Da hat man 90 Sekunden lang den Klimawandel im Ohr gehabt.
Die Idee zum Projekt "Call me!" kam dem Soundkünstler Kalle Laarwährend einer Islandreise im Jahr 2006. Auf dieser Kunstexpedition machte er Tonaufnahmen zum Thema "Wasser". "Gleichzeitig war der Rückgang der Gletscher unübersehbar", erinnert sich Laar. Die schmelzenden Eismassen waren schon damals das Symbol der fortschreitenden Erderwärmung.
"Der Gletscher erschien als lebendiges Wesen", sagt Laar. Aber welche Geschichte könnte man erzählen, um den Klimawandel zu einer persönlichen Erfahrung zu machen? Laar dachte sich: "Na, dann rufen wir den Gletscher halt an." Er wandte sich an die Bayerische Akademie der Wissenschaften, genauer an die Abteilung für Erdmessung und Glaziologie.
Nach erstem anfänglichen Kopfschütteln waren auch die Wissenschaftler bereit, das ungewöhnliche Projekt zu unterstützen. Sie wählten den Vernagtferner im Ötztal aus, wo sie seit 1964 eine Messstation betreiben. Seit dem Jahr 1600 steht der Gletscher unter Beobachtung. Gletscherseeausbrüche bedrohten immer wieder bewohnte Gebiete. Heute ist der Vernagtferner ein trauriges Beispiel für den besonders starken Rückzug der Gletscher.
In ein Modem wurde eine SIM-Karte installiert, ein Mikrofon direkt an der Messstation am Vernagtbach, der vom Gletscher gespeist wird, montiert. Damals war das gleich unterhalb der Gletscherzunge.
Um das Projekt bekannt zu machen, gestaltete Kalle Laar Visitenkarten. Vor dem Hintergrund einer malerischen Berglandschaft prangen schreiend in rot und gelb die Aufforderung "Call me!" und die zugehörige Telefonnummer: +43525430089. Das Design hat sich Laar in Japan abgeschaut. "In den 1990er-Jahren haben Prostituierte solche Karten in Telefonhäuschen hinterlassen."
Das Konzept Visitenkarte funktioniert beim Klimawandel auch heute noch. "Die Leute rufen zwar nicht sofort an, werfen die Karte aber auch nicht weg." Irgendwann wählen sie die Nummer. Nach zehn Jahren waren es etwa 25.000 Personen, seither sind, vermutet Laar, noch einmal 10.000 Anrufer:innen dazugekommen.
"Call me!" wurde 2007 bei der Biennale in Venedig vorgestellt und war dort Teil einer größeren Installation. Allerdings ohne Lautsprecher. Wer den Gletscher hören wollte, musste ihn schon selbst anrufen. Jemanden oder etwas am Telefon zu hören, sei sehr intim. "Das Handy wird zur Verlängerung unseres Körpers", sagt Laar. "Und Hören ist unmittelbarer als Sehen. Wir haben gelernt, uns gegen visuelle Reize zu schützen. Beim Hören gelingt uns das nicht im gleichen Ausmaß."
Der Vernagtferner ist immer noch erreichbar, der Klimawandel in vollem Gange. Rufen Sie ihn an!
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Ihre Stefanie Panzenböck
https://www.falter.at/maily/20240126/call-me