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___Calling the Glacier________________________________Presse

Schnittstelle Kunst und Technologie. Süddeutsche Zeitung, 2008

Bei Anruf rauscht der Gletscher. Die Münsingerin Serafine Lindemann konzipiert Wanderausstellung zum Thema Ressource Wasser


Auf den ersten Blick würde die Idee auch heute noch eher zur Utopie abgestempelt. Allzu sehr hat das rationelle und ökonomische Denken - ganz besonders in Deutschland - die Rolle der Kultur zur Luxusdekoration der gehobenen Gesellschaft verkommen lassen, als dass sie mit ihrer heilsamen Indikation auf deren Kränkeln noch einwirken könnte. Da bedurfte es einer außergewöhnlichen Begegnung zwei verwandter Geister - die gerade an den Stellen suchten, wo andere schon längst zu wissen glauben, wo es langgeht - , um neue Wege aufzuzeigen.

Auf der Seite der Kunst stand die im Landkreis lebende Serafine Lindemann mit ihrem mobilen Kunstforum artcircolo GmbH, die sich ohnehin schon mit neuen Ausprägungen und Zusammenhängen der Kunst befasste ...

Damals ahnten die Initiatoren der Projektreihe "Overtures" wohl noch nicht, welch gigantische Ausmaße die Thematik annehmen würde und wie vielfältig die künstlerischen Ansätze aussehen. Das Unternehmen begann zur Jahrtausendwende mit dem Themenkomplex Wasser und schöpft seitdem aus dem Vollen. "Die Idee ist, die vielen Facetten des Wassers aus verschiedenen Kulturkreisen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus aufzuzeigen", erklärt Lindemann. Es geht darum, ein Bewusstsein für die immer knapper werdende Ressource zu schaffen, ihren Wert für das Leben zu ermessen und dementsprechend verantwortungsvoll mit ihr umzugehen. Auch das zentrale Thema der Expo 2008 im spanischen Zaragoza also, wo das dritte Projekt "Overtures" am Ende seiner letzten Etappe die Chance bekommt, Erfahrungen und Ergebnisse einer europäischen Nord- Süd- Expedition mit neuen technologischen Entwicklungen und internationalen Kunstbeiträgen als Denkanstöße anzubieten.

Bereits auf der jüngsten "Ars Electronica", dem alljährlich stattfindenden Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft in. Linz, sei das Publikum sehr interessiert gewesen, berichtet der Kraillinger Künstler Kalle Laar. Die Arbeiten entwickelten sich dynamisch während der Suche nach dem Ort, nach den Fachleuten und Technologien, berichtet er. "Wenn das in Fahrt kommt, eröffnen sich neue Perspektiven." Laar befasst sich vor allem akustisch mit dem Schwinden der Gletscher und stellte in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern eine telefonische Verbindung mit dem Vernagtferner in den Ötztaler Alpen und der Pasterze am Fuße des Großglockners her (www.callingtheglacier.org).

Die komplexe Ressourcenproblematik zu entwirren und räumlich näher zu rücken, um aus der Präsenz unmittelbare Betroffenheit zu bewirken sowie in Symposien und Workshops konstruktiv zu diskutieren - dies vermag Kunst weit besser als eine Schreckensmeldungen oder ein simuliertes Horrorszenario. Und Bewusstmachen tut Not, denn Wasser kommt weder aus der Leitung noch aus der Flasche, genauso wenig wie Strom aus der Steckdose. Dies zu glauben, sei" naive" (Umkehrung von "evian"), führte etwa der Finne Jussi Kivi mit dem manipulierten Evian- Etikett vor Augen. Zwischen Japan und Kuba, Island und Spanien sind Künstler in das ehrgeizige Endlosprojekt involviert. Die einen stoßen vor den Kopf, die anderen forschen oder legen Wasserleitungen für sozial Schwache: Kunst, nicht nur zeitgenössisch, sondern auch zeitgemäß.

 

... Kunst in neuem Kontext

Eine Alternative war aber auch diesmal bereits am Reifen. "Das Konzept war, mit Ausstellungen an verschiedene Orte zu gehen", etwa Baustellen, Abrisshäuser, Fabrik- und Lagerhallen oder Garagen. "Es hat mich interessiert, Kunst im neuen Kontext zu entwickeln und zu inszenieren", so bringt sie ihrenAnsatz auf den Punkt. Serafine Lindemann gründete daher 1989 das mobile Kunstforum artcircolo. Die Idee war neu, die Öffentlichkeit interessiert, die Projekte wurden Erfolge - und artcircolo schließlich eine GmbH. Die Kuratorin Lindemann, zugleich auch Autorin von Katalogbeiträgen, hatte offenbar den Puls der Zeit erspürt und das Projekt wurde irgendwann zum Mechanismus.

Weltweite Infrastruktur

Als begnadete Netzwerkerin hatte sie schnell eine Infrastruktur aufgebaut, die weltweites Agieren ermöglichte. Lindemann lud aber auch ausländische Künstler nach München ein ...

Reinhard Palmer