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Mann des großen Klingklangs. Falter, Wien 2008
Der Lautkünstler, Akustikforscher, Dj und Neo-Wiener Kalle Laar und seine Tonsammlung
PORTRÄT: WOLFGANG PATERNO
Wie man sich einen Atomschutzbunker in den familieneigenen Vorgarten gräbt? Nichts leichter als das. 1959 veröffentlichte das US-Verteidigungsministerium eine Schallplatte mit dem Titel "lf the Bomb Falls", eine tönende Handlungsanweisung für den nuklearen Ernstfall. Eine sonore Stimme sprach darauf unter anderem die Worte: "Fälltdie Bombe, werden Millionen von Menschen sterben." Dem Rund aus Vinyl beigelegt war eine Bauanleitung mit Skizzen für den privaten Luftschutzkeller: "The Family Fallout Shelter".
Sollte dem Hausherrn, so lautete einer der auf Platte vorgebrachten Ratschläge, nach einer Woche im Erdloch die Restfamilie auf die Nerven gehen, seien entsprechende Beruhigungsmittel durchaus empfehlenswert. Die Instruktion ist nur ein Beispiel aus dem reichen Tonfundus des Klangkünstlers und Musikers Kalle Laar, 53, Vorortmünchner und seit kurzem auch in Wien ansässig. Laars Vinylauslese umfasst sehr viele Regalmeter, dennoch ist er im strengen Sinn kein Sammler, kein Jäger des verlorenen Schalls. Laar agiert eher als Akustikforscher, als Enthusiast der angewandten Tonarbeit.
"Vor einem halben Jahrhundert ist die LP zum Atombombenabwurf veröffentlicht worden. Hört man dieses Dokument heute, stellt sich ein unmittelbares emotionales Erlebnis ein, vermutlich intensivere Regungen jedenfalls, als wenn man über dieselbe Materie ein Buch liest, einen Film sieht", sagt der Laar. Er kann lange, fesselnde Monologe über sein Metier halten. Laar springt ständig auf, lässt die Finger wie flinke Krabbeltiere über Plattenrücken wandern, fischt Historisches und Kuriosa aus Vinyl hervor: "Die Jagd mit dem Hirschruf", "Die Stimme des Arztes", "Medical English for German Doctors".
Hoch ist der Grad an Skurrilität und Wahnwitz dieser Hörbeispiele - auf der medizinischen Sprachplatte ist etwa eine Führung durch ein Labor zu vernehmen, eine Frau äußert bass erstaunt.- ein Einhorn! Eine andere Stimme antwortet: Nein, dies sei kein Fabelwesen, sondern eine Katze mit Kanülen im Hirn. Andererseits: Die Zeitdokumente werden mit dem allmählichen Verschwinden des Vinyls bald unrettbar verloren sein. Im virtuellen Raum hat Laar (neben einer Dokumentation seiner umfassenden Plattenspielersammlung) die Archivierungsstätte für die verlorene Musik, für die vom Verfall bedrohten Tonschnipsel bereits seit längerem eröffnet.
Diese Woche wird Laar gemeinsam mit Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums und ausgewiesener Hörfunkfachmann, im ORF- Radiokulturhaus nun kurzzeitig eine Dependance seines Klangmuseums eröffnen. Die Untersuchung historischer Tonphänomene sollte längst in Form einer institutionalisierten, musealen Darbietung Breitenwirksamkeit entfalten: Gerade in Wiens Museumslandschaft würde sich, als akustisches Gegenprogramm zu den visuellen Blockbustern, der Welt erstes Vinylmuseum formidabel einfügen.
Vielleicht fehlt Laar, dem gewohnheitsmäßigen Mehrspartenartisten, auch einfach nur die Zeit für den Aufbau einer entsprechenden Geräuschegalerie. Als Klangkünstler verwirklichte er 2007 das Projekt "Calling the glacier" - unter der Telefonnummer 0043 5254 30089 kann seit damals dem Vernagtferner im Ötztal live beim Abschmelzen gelauscht werden: Klimawandel hörbar. Mit seiner Frau, der Lyrikerin Augusta Laar, betreibt der Lautexperimentator eine Unternehmung namens "Kunst oder Unfall". Auftritte der Gruppe muss man sich als großen Klingklang vorstellen: "Auf einem meterlangen Tisch liegt Zeugs, Kinderspielsachen, Folienschallplatten, peripheres Material. Alles wird zum Tönen gebracht." Man kann Laar für Kurzzeitvorträge oder DJ- Abende buchen, er ist als Produzent tätig und Herausgeber von bisher fünf "La Paloma" - CD - Kompilationen.
Laar sitzt in seiner spartanisch eingerichteten Wohnung, viele Platten, kein TV- Gerät. Er erwähnt den Titel einer LP, auf der Bruno Kreisky Staatstragendes äußerte. Zehn Finger machen sich auf die Suche nach dem Fundstück.